Frühförderung im ‹Haus des Kindes› am Zentrum ‹hof› in Niederursel
Frühförderung ist eine pädagogisch-therapeutische Maßnahme für Kinder die von einer Behinderung betroffen oder bedroht sind. Sie wird durch das Zusammenwirken von medizinisch-therapeutischen Leistungen als Komplexleistung verstanden.
Dargestellt wird sie am Beispiel der Anthroposophischen Frühförderstelle ‹Haus des Kindes› in Frankfurt-Niederursel, die als Frühförderstelle vom Land Hessen anerkannt und eingegliedert ist in das Pädagogisch-therapeutische Zentrum am ‹hof› in Niederursel / Frankfurt am Main.
Was bedeutet Frühförderung
In den vergangenen 30 Jahren hat sich in Deutschland ein gut ausgebautes System der Frühförderung von Kindern bis zum Schuleintritt entwickelt. Wenn in der Früherkennung durch die Pflichtuntersuchungen oder auf anderem Wege eine Krankheit oder Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Entwicklung des Kindes festgestellt wird, die in nicht geringem Masse die normale Entwicklung bedroht oder gefährdet, so besteht seit 2001 ein gesetzlicher Anspruch auf eine sogenannte «Komplexleistung Frühförderung» (Sozialgesetzbuch IX) bis zum Schuleintritt. Frühförderung erfordert wohnortnahe, integrative und interdisziplinäre Angebote. Sie werden in der konkreten Ausgestaltung in jedem Bundesland und zum Teil in jedem Kreis oder Kommune unterschiedlich umgesetzt. Bundesweit gibt es ca. 1.000 eigenständige Frühförderstellen, überwiegend von freien Trägern und über 120 Sozialpädiatrische Zentren (SPZ), deren Leitung von spezialisierten Kinder- und Jugendärzten übernommen wird. Darunter sind inzwischen auch einige anthroposophisch orientierte Initiativen wie z. B. das ‹Haus des Kindes› innerhalb des Pädagogisch-therapeutischen Zentrums ‹der hof Niederursel› in Frankfurt am Main.
Die Aufgabe der Frühförderung ist eine langfristig angelegte Hilfe. Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Kind. Es wird grundsätzlich immer im Zusammenhang mit seiner Familie gesehen. Somit finden keine Maßnahme und kein Förder- oder Behandlungsplan ohne Zustimmung und Auftrag der Eltern statt. Förderung orientiert sich nicht am Nachvollzug der sogenannten «normalen» Entwicklung, sondern ist für jedes Kind und seine Familie individuell ausgerichtet. Sie erfordert jeweils ein anderes Vorgehen und eigens formulierte Ziele. Der zentrale Entwicklungsmotor ist die Motivation und das Interesse des Kindes und seiner Familie. Bestreben ist es dabei, die volle Entfaltung des Entwicklungspotentials zu unterstützen. Je stärker das Kind und seine Eltern als «Akteure» der Entwicklung aktiv an dem Prozess beteiligt sind und sich als selbständig handelnd erleben, desto grösser sind die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Selbsterleben, Selbstwertgefühl und späteres Selbstbewusstsein. Auf eine gründliche Wahrnehmungsverarbeitung wird viel Wert gelegt, sodass die vom Kind innerlich mitvollzogenen Veränderungen für weitere Entwicklungsschritte und späteres schulisches Lernen genutzt werden können. Von daher erweist sich die gesetzlich geforderte interdisziplinäre «komplexe Frühförderung» in den Zielen und Ansätzen sehr übereinstimmend mit einem Ansatz auf der Basis der anthroposophischen Menschenkunde mit seinem ganzheitlichen Menschenbild.
Was geschieht in der Frühförderung?
Im Erstkontakt (oft telefonisch) wird ein «Diagnoseblock» von drei Terminen verabredet, der mit einem Elterngespräch beginnt. Darauf folgt eine diagnostische Einheit mit dem Kind, die dann in einem weiteren Gespräch mit den Eltern entweder in die Erstellung eines Behandlungsplans mündet oder andere Wege für die Familie aufzeigt. (Für eine Bewilligung der Frühfördermaßnahme durch das zuständige Sozialamt bedarf es in Hessen einer Verordnung durch den behandelnden Kinderarzt.)
Als offene Anlaufstelle bietet die Frühförderung Beratung und Informationen für alle Familien und Fachleute sowie Einrichtungen an, die sich Sorgen um ihre bzw. die ihnen anvertrauten Kinder machen.
Die Arbeit mit dem Kind geschieht entsprechend des Förderplans wöchentlich in einer 45-Minuten-Einheit. Die Bewilligung erfolgt in der Regel für den Zeitraum eines Jahres und kann bis zum Schuleintritt verlängert werden.
Die Elternarbeit mit den Erziehungsverantwortlichen findet normalerweise alle vier bis sechs Wochen statt. Sie ist ein fester und notwendiger Bestandteil der Arbeit.
Eine Besonderheit der Frühförderstelle ‹Haus des Kindes› ist das Angebot einer künstlerischen Elternarbeit während der jeweiligen Einheit mit dem Kind. Themen, die in Elterngesprächen aufgetaucht sind und biographische Bedeutung haben, als Blockaden für Veränderungen im Wege stehen oder hinderliche Sichtweisen auf das Kind oder seine Geburtssituation bergen, werden hier von den Eltern künstlerisch bearbeitet, vertieft und anschliessend in weiteren Elterngesprächen reflektiert.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team und mit den für die Familie zuständigen Kooperationspartner*innen findet regelmässig und auf Anfrage statt. Hierfür müssen die Eltern die zuständigen Frühförder*innen von der Schweigepflicht entbinden.
Die Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen gestaltet sich auf unterschiedliche Weise. Es besteht die Möglichkeit, in Kindergruppen zu hospitieren und die Beobachtungen anschliessend nachzubesprechen. Daraus kann eine Empfehlung für eine Frühförderung oder eine andere Maßnahme hervorgehen. Es kann sich auch als sinnvoll erweisen, innerhalb der Betreuungseinrichtung nach neuen Wegen zu suchen.
Das ‹Haus des Kindes› bietet als lebensweltorientierte Einrichtung umfassende Hilfe an. Es koordiniert und integriert pädagogische, therapeutische und medizinische Ansätze in der Früherkennung und Diagnostik. Zusätzlich werden Beratungen in Bezug auf kindgerechte Lebensgestaltung in den Familien oder Einrichtungen durchgeführt und die alltagsunterstützende Zusammenarbeit mit den Familien bzw. Bezugspersonen der Kinder wird gefördert.
Wie wir arbeiten
Ein grundlegendes Motiv der Arbeit des ‹Haus des Kindes› besteht darin, den Willen zur Veränderung aufzugreifen: Eltern, die mit ihren Kindern zur Frühförderstelle kommen, haben den Wunsch, etwas in ihrem Leben oder ihrem Familiensystem zu verändern. Der Anlass ist das Verhalten des Kindes oder auch der Schicksalsschlag einer Behinderung wie auch chronische Krankheit und viele andere Anlässe.
Zunächst geht es darum, das Kind wahrzunehmen, sich ihm empathisch zuzuwenden, sodass es wie von innen heraus verstanden werden kann. Denn für uns ist es nicht Ziel, einen Menschen zu verändern, selbst wenn es möglich wäre. Dies wäre ein Widerspruch zu seiner Würde. Hilfreich aber ist es, wenn in der Frühförderung geübt wird,
- das Kind zu ermuntern, seine eigenen Ziele und Bedürfnisse zu äussern,
- seine speziellen Ressourcen zu entdecken,
- dem Kind Angebote zu machen, bei denen es sich wertgeschätzt fühlt,
- Tätigkeiten anzubieten, in denen das Kind Kreativität, Lebensfreude und Sinnhaftigkeit entdecken kann,
- ihm Zeit zu lassen für seine individuelle Entwicklung.
Die Frühförderstelle ‹Haus des Kindes› möchte so Familien unterstützen, ihre Aufmerksamkeit auf die physische gesunde Entwicklung ihres Kindes zu richten. Zwischen der Geburt und etwa dem 7. Lebensjahr ist es eine der Hauptaufgaben des Kindes, seinen von den Eltern «geerbten» Leib, der ihm als eine Art «Modell» dient, umzuarbeiten in die ihm angemessene individuelle Konstitution und Organbildung. Hierzu dient alles, was das Kind durch die Basis-Sinne erfährt und verarbeitet.
- Die Pflege dieser Sinne,
- dem Tastsinn oder dem taktilen System,
- dem Lebenssinn, dem Spüren der eigenen Bedürfnisse und inneren Zustände,
- dem Gleichgewichtssinn oder dem vestibulären System,
- der Eigenwahrnehmung, auch Bewegungssinn genannt oder propriozeptives System,
- der Tiefenwahrnehmung über Muskeln und Muskelspindel, kommt deshalb eine hohe Bedeutung zu.
In der Frühförderung wird das Augenmerk darauf gerichtet, ob bei dem Kind zwar unter Umständen die Sinne äusserlich konditioniert, jedoch die Sinnesempfindung nicht ausreichend ausgebildet wurde und es damit zu keiner befriedigenden Wahrnehmungsverarbeitung kommt. In allem was wir tun, wird uns durch die Sinne der Zugang zur Welt und zu uns selbst erschlossen. Störungen der basalen Sinne zeigen sich durch eine Über- und Unterempfindlichkeit bei Reiz- oder Wahrnehmungsverarbeitungen. Somit erhalten die Sinnespflege und die Sinnesschulung in Familie und Betreuungseinrichtung einen hohen Stellenwert.
Darüber hinaus kommt es auf die Förderung der Lebenskräfte der Kinder an. Sie unterstützen die Umgestaltung des physischen Leibes in einem hohen Maße und stehen in einer engen Beziehung zu der Umgebung des Kindes. Ihr ausreichendes Vorhandensein wie in einer Art «Hülle» ist daran zu erkennen, ob das Kind seine Bedürfnisse spürt, mit Misserfolgen umgehen kann, sich erwärmen und begeistern kann, nachahmen kann und einen Sinn in seinen Tätigkeiten erlebt.
Auf Grundlage einer gesunden Sinnesentwicklung und ausreichender Lebenskräfte kann sich das Kind die Welt durch Gehen, Sprechen und Denken erobern. Dies geschieht beim kleinen Kind grundsätzlich über die Erschliessung der Raumdimensionen, des physischen Raumes im Gehen lernen, des seelischen, emotionalen Raumes durch die Sprache und des geistigen, gedanklichen Raumes durch das Erfassen von Zusammenhängen. Es erfolgt zunächst eine physische Bewegung, daran schliesst sich der seelische Eindruck an und daraus ergibt sich wie von selbst ein Zusammenhang. Diese Abfolge wird auch in jedem Handlungsablauf mit den Kindern beachtet.
Eltern brauchen dabei Unterstützung, um ihrem Kind in seiner Ergreifung des eigenen Leibes über die Sinnesentfaltung, die Tätigkeiten des Gehens, Sprechens und Denkens Vorbild zu sein und gleichzeitig einen Schonraum für die Entwicklung des Kindes zu gewährleisten. Eltern und Kinder werden im ‹Haus des Kindes› grundsätzlich als eine Einheit betrachtet. Ziel ist es dabei, die «innere Mitte» und das Gleichgewicht im Kind und in der Familie herzustellen – im Miteinander, in belasteten Lebenssituationen.
Dieser Prozess wird unterstützt durch die Berücksichtigung der folgenden Elemente, die Grundlage jeder Entwicklung sind:
- die Wärme, die überhaupt Voraussetzung für Entwicklung ist, für die Chance, sich auf einen neuen Prozess einzulassen,
- das Licht, das zuvor Nichtverstandene erhellt oder anders beleuchtet sowie die Luft, die in festgefahrenen Situationen Leichtigkeit und Bewegung hereinbringt,
- das Wasser oder Flüssige, was unzusammenhängendes Nebeneinander, Kontroverses rhythmisch verbindet und durchdringt, aber auch aussondert,
- und nicht zuletzt wird jeder Prozess, jede Entwicklung so auf die Erde gebracht und in den Alltag integriert werden müssen.
Für diese Anliegen stehen dem Mitarbeiter*innen-Team des ‹Haus des Kindes› verschiedene Angebote zur Verfügung, um in eine rhythmisch gegliederte Arbeitssituation zu kommen:
- die Therapieräume als nachgestellte «Naturräume» (für die Entwicklung des Tast-, Gleichgewichts- und Bewegungssinns dienen z. B. Naturmaterialien wie Kirschkerne, Balancierstangen und Kletterparcours).
- Arbeit in Werkstätten (Werkbank, Küche u. a.) dient der Feinmotorik und fördert die Nachahmung.
- Die ländliche Naturumgebung Niederursels mit Bach, Feuerstelle, Schaukel und Sand bietet vielfältige Erfahrungen im Umgang mit den Elementen. Der Umgang mit Tieren im Stall und Umgebung des Naturkindergartens ‹Schilasmühle› baut auf natürliche Art und Weise Blockaden ab, die das Kind u. U. im Therapieraum viel länger aufrechterhält. Das Pferd z. B. gibt dem Kind zur gleichen Zeit Reize über den Gleichgewichtssinn, den Tast-, Lebens- und Bewegungssinn. Es fördert die Konzentration, das soziale Verhalten und das Selbstbewusstsein des Kindes in hohem Masse.
Das alles wird im Förderplan individuell ergänzt und erweitert durch die künstlerisch-anthroposophischen Therapien wie Kunsttherapie, Heileurythmie, rhythmische Massage und Öldispersionsbäder, die verstärkt vor allem eine Entfaltung der Lebenskräfte ermöglichen.
Der Förderplan entwickelt sich im engen Austausch mit den Eltern und deren Zielen und schreibt sich mit der Behandlung fort. In der Regel wird der Innenraum für die erste Kennenlernphase mit dem Kind genutzt. Dort zeigen die Kinder schnell, wo sie eine gute Wahrnehmungsverarbeitung haben und wo sie eher ängstlich, unsicher, über- oder unterinformiert sind. Die Aussenräume beschleunigen oft den Veränderungsvorgang und ermöglichen dem Kind stärker Umsetzungsmöglichkeiten in die ihm vertraute Lebenswelt.
Einige Kinder kommen mit einem klaren und medizinisch eindeutigen Befund zur Frühförderstelle. Bei einer Mehrheit kann jedoch trotz Untersuchungen im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) keine eindeutige Diagnostik erbracht werden. Insbesondere bei diesen Kindern hat sich die Arbeitsmethode bewährt, die Wahrnehmung und Reflexion unserer eigenen Befindlichkeit während der Beobachtung des Kindes hinzu zu ziehen: Worauf werde ich aufmerksam? Was fällt mir immer wieder ins Auge? Wie war meine Körperhaltung? Wie mein Atem? Mein Herzschlag? Wo bin ich verspannt, entspannt? Wo werde ich vom Kind angesprochen, mehr im Kopf, im Reden, im Sinnieren, im Fühlen oder in der Motorik? Um diese Beobachtungen zu verifizieren, gleichen wir sie mit Kollegen und den Eltern ab.
Die neueren Erkenntnisse der Neurologie über die Spiegelneuronen bestätigen die wesentliche Quelle der eigenen Nachahmung auch als mögliches diagnostisches Instrument, um den Bereich nicht messbarer und nachweisbarer emotionaler Anteile der eigenen Wahrnehmung miteinzubeziehen. Umgekehrt lässt sich in vielen Fällen entdecken, dass auch die Kinder nicht nur das physische Tun, sondern vielmehr das Fühlen und Denken ihrer Bezugspersonen nachahmen. Die physische Unruhe eines Kindes steht oft in unmittelbarem Verhältnis zur seelischen oder gedanklichen Unruhe seiner Umgebung.
Für die Effektivität der Frühförderung ist deshalb der vertrauensvolle Kontakt zu den Eltern die wichtigste Basis, da die gewünschte Veränderung oft das ganze System betrifft. Eine Intensivierung der Elternarbeit ist dann besonders sinnvoll. Doch selbst, wenn dies nicht möglich ist, erleben die Kinder durch die Erfahrungen in der Frühförderung ihre autonomen Kräfte, um Erlebnisse und Entwicklungen anzubahnen, die den Eltern wiederum neue Sichtweisen auf ihr Kind vermitteln und damit oft einen neuen Zugang aus festgefahrenen Verhaltensmustern ermöglichen.
Über allen Therapieangeboten und Zielen, die sich im Förderplan niederschlagen steht jedoch der Kontakt, der innere Dialog, den die Frühförder*innen zum Kind haben. Es spürt, ob ich es so wie es ist, annehme und ob ich mit ihm gemeinsam suche, welcher sein Weg sein könnte, um sich gut mit dem Dasein vertraut zu machen. Die Erfahrung und Erfolge der Arbeit im ‹Haus des Kindes› zeigen, dass hierzu oft ein reflektiertes Sich-leiten-lassen von therapeutischen Intuitionen der beste Weg ist. Die Kinder wissen, was gut für sie ist und durch unser Innehalten, inneres Hören und äusseres Schweigen sowie Loslassen von Vorstellungen, Phantasien und Bildern erfassen wir am ehesten, welchen Weg ich mit dem einzelnen Kind gehen könnte. So kann es in seinem «Sein», vor allem im Ergreifen seiner physischen Existenz und seinem «Da-Sein» den festen Punkt des «Ich-bin» spüren. Wenn dies erreicht ist, können alle weiteren sozialen und schulischen Herausforderungen leichter angegangen werden.
Mitarbeitende und Zielgruppen
Das Team der Frühförderstelle ist multiprofessionell zusammengesetzt; es besteht aus Sozial- und Heilpädagog*innen, einer Ergotherapeutin, einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in Ausbildung, einem Motologen und einer Heileurythmistin. Im ‹Haus des Kindes› sind die Mitarbeitenden zusätzlich in Elternberatung, anthroposophischer Menschenkunde und Waldorfpädagogik ausgebildet. Auch die Ansätze der sensorischen Integrationstherapie, der Pädagogik nach Emmi Pikler und verschiedene psychologische Ansätze und Weiterbildungen spielen eine Rolle.
Zum Selbstverständnis der Mitarbeitenden gehören die Bereitschaft zur Intervision, Supervision sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Pädagogisch-therapeutischem Zentrum und in der Bildungsarbeit des ‹hofes›.
Zurzeit sind sechs Mitarbeitende in Voll- und Teilzeit angestellt sowie eine zusätzliche Kollegin, welche die administrativen Aufgaben übernimmt. Die beiden Leitungskräfte sind nicht freigestellt, sondern betreuen ebenfalls Kinder. Die Einrichtung ist von Montag bis Freitag jeweils von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet. Wöchentlich kommen ca. 120 Familien zum ‹Haus des Kindes.
Aufgrund der überregionalen Tätigkeit der Frühförderstelle werden sowohl Familien aus Frankfurt als auch aus den umliegenden Bezirken und Landkreisen aufgenommen. Hierbei sind Familien aus allen sozialen Schichten vertreten. Der Großteil der Familien stammt aus dem nordwestlichen Stadtteil Frankfurts, welcher stark von Migration geprägt ist.
Eine Arbeitshypothese in der Elternarbeit führt zu einer neuen Methode
Der Kontakt zu den Eltern, die Sicherheit, das Wohlgefühl und Vertrauen der Eltern zu der Einrichtung und unserer Arbeit hilft den Kindern, sich auf unsere Angebote einzulassen. Damit ist der Kontakt zu den Eltern eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit mit den Kindern. Die Kenntnisnahme und Wahrnehmung ihrer Bedürfnisse, Ziele und Wünsche sind Teil des Arbeitsauftrages. Zur Frühförderung gehört somit das Interesse an biographischen Elementen der Eltern, ihren Fähigkeiten und Neigungen. All das bestimmt die Dynamik der Veränderungsprozesse auch für die Kinder mit. Das Denken, Fühlen und Handeln der Eltern sind die eigentliche Entwicklungshülle des Kindes.
In der Anamnese erfahren wir Fakten über die erbliche und genetische Disposition sowie über die physischen Abläufe und Gewohnheiten aus Perspektive der Eltern – die gewordene Vergangenheit.
In der Beobachtung des Kindes im freien Spiel und in Bewegungssequenzen versuchen wir uns als Therapeuten ein Bild von dem Kind zu machen, über das, was ihm aus seiner Zukunft entgegenkommt, was bereits in ihm liegt, vor allem aber, was es erst werden will. Es gilt, etwas von dieser Zukunftsgestalt zu imaginieren, um sie zur Leitlinie des zu Fördernden, als inneres Ziel des oft defizitär definierten Tatbestandes, zu verwandeln. Diese zu erhaschen, vielleicht mit der leitenden Frage «Wie möchtest du werden?», gibt uns den inneren therapeutischen Auftrag. Oft können wir hier auch eine Mittlerrolle zwischen Eltern und Kind einnehmen.
In den Gesprächen mit den Eltern interessieren uns ihre eigenen Sichtweisen auf das Leben, ihre endlichen und unendlichen Perspektiven, ihre Aussichten auf Entwicklung, ihre gedankliche und ethische Zugehörigkeit sowie alle Bedürfnisse, Freuden und Leiden in Bezug auf die Perspektiven zu ihrem Kind. Hierzu gehören auch die individuellen Erziehungsziele.
So nähern wir uns der wichtigsten Hülle des Kindes: die seiner Eltern. Ihr Denken, ihr Fühlen und ihr Handeln regen das Kind nicht nur zur täglichen Nachahmung an, wie es mittels der Forschung der Spiegelneuronen erwiesen ist, sondern jedes Kind wird versuchen, sich der elterlichen Hülle anzupassen. Dies dient der natürlichen Regulation für Sicherheit und Zugehörigkeit, wie wir aus den Kenntnissen der Bindungstheorie von Bowlby wissen. Auf dieser Basis werden regelmässige und intensive Elterngespräche neben der Therapie mit dem Kind geführt. Wenn es gelingt und die Eltern sich mit der Zeit als Teil des Geschehens sehen und einbringen wollen, so können sie auf drei Ebenen mitwirken:
- Physisch: Veränderung der Lebensabläufe, Umgang mit Medien, Frage nach der richtigen Einrichtung für ihr Kind, Nahrung usw.
- Geistig: Unter Umständen gelingt es, durch die Gespräche, in denen wir den Eltern eine neue Sichtweise auf ihr Kind anbieten, dass sie so dem Kind neue innere Möglichkeiten eröffnen.
- Seelisch: In der Wahrnehmung ihrer Sichtweise auf das Kind ist die Basis für alle Entwicklung enthalten. Wenn die Eltern aus der Sackgasse des rein defizit-orientierten Blicks auf ihr Kind herausfinden und die eigene Veränderung als Voraussetzung für die Veränderung des Kindes erkennen, so ist ein entscheidender Impuls im therapeutischen Prozess in Bewegung gesetzt. Dazu müssen aber vor allem die unbewussten und tieffliegenden Sichtweisen freigelegt werden. Da kann insbesondere die künstlerische Betätigung helfen. Sie schafft es, bisher unbewusste innere Empfindungen in Bezug auf ihr Verhältnis zum Kind sowie das familiäre System zur Erscheinung zu bringen.
Der Prozess als Ganzes betrachtet, greift in die Lebensstrukturen der Familien ein. Die Achtsamkeit der individuellen Arbeit ist darauf ausgerichtet, die Lebenskräfte der Familie zu stärken, als Basis der individuellen Entwicklungen und guten Inkarnation. Das Angebot einer künstlerischen Arbeit der Eltern ist eine Besonderheit im ‹Haus des Kindes›. Diese ist im Konzept der Frühförderung im Laufe der Zeit zu einem immer wichtigeren Anliegen geworden. Denn in den einzelnen Sitzungen kann vieles an Sicherheit und Veränderung bei dem Kind erreicht werden. Doch danach kehrt das Kind wieder in seine gewohnte Umgebung zurück und die Gefahr, in die alten Muster zu verfallen, ist gross. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit den Eltern von grosser Bedeutung. So bieten wir ihnen an, den Veränderungsschritt bei ihrem Kind aktiv zu begleiten, damit auch sie sich in ihren Gewohnheiten in Frage stellen und sich nicht ausserhalb des Förderverlaufes sehen.
Äusserlich geschieht dies durch die künstlerischen Übungen, welche die Eltern parallel zu der Stunde ihres Kindes in einem anderen Raum machen können, zusätzlich zu den regelmässigen Elterngesprächen. Ob diese Angebote angenommen werden und ob sie einen förderlichen Beitrag zum Therapieverlauf darstellen, kommt in erster Linie auf das Vertrauen an, das zwischen Frühförder*innen und Eltern aufgebaut wird und ob sie sich als Partner ernstgenommen fühlen. Mit der Zeit haben wir an den Aufgabenstellungen erfahren, dass das, was die Eltern uns im Gespräch erzählt haben, oft immer noch eine beschönigende oder auch beschwichtigende Geste gegenüber ihrem Innenerlebnis hat. Davon ausgehend, dass das Kind aber der realen Innensicht der Eltern begegnet, ist dieser Aspekt immer mehr zum Bestandteil unseres Interesses geworden. Bilder, die die Sicht der Eltern auf ihr Kind darstellen, haben zunächst zu unserem Erstaunen oft genau das Bild gezeigt, das auch das Kind uns in seiner Leiblichkeit zum Ausdruck gebracht hat. So entstand folgende Hypothese: Ist es für Kinder von Bedeutung, so gesehen zu werden, wie sie werden wollen und nach den Gesetzen der Aufrichte werden müssen? Inwieweit wird dies verhindert, wenn die erste und wichtigste Hülle sie in ihrem «Werdewillen» schon allein durch die Wahrnehmung nicht unterstützen kann? «Ich werde gesehen, also bin ich», bezeichnet der Analytiker und Kinderarzt Winnicot diesen Prozess. Steiner spricht an dieser Stelle von der Bedeutung der Hülle nach der Geburt als Umgebung. Wir möchten an dieser Stelle als wichtigste und erste Umgebung des Kindes ihre Eltern und vor allem deren Sicht auf das Kind präzisieren.
In dieser Hinsicht spielen in der künstlerischen Arbeit verschiedene Faktoren eine Rolle:
- Geburt
- Schwangerschaft
- erste Beziehung nach der Geburt
- Partnerschaft
- Geschwisterbeziehung untereinander
- Rolle in der Familie
Mögliche Themen, um die oft vergessenen Ressourcen der Familie kennen zu lernen:
- Wie war die eigene Kindheit?
- Wo habe ich mich in der eignen Kindheit wohl gefühlt?
- Was sind glückliche Momente mit den Kindern?
Im Anschluss an das Malen der Bilder können die Eltern berichten, was sie selbst sehen, was sie gemalt haben und im günstigsten Fall werden sie dazu ermuntert, die Ergebnisse auch in eigene Worte zu fassen und aufzuschreiben. Dann erst kommt es zur Beschreibung der Therapeutin. Diese Zusammenschau des Bildes regt oft wichtige weitere Themen an. So wird dann das Bild ein wichtiger Bestandteil für das kommende Elterngespräch.
Wenn die Kinder sich entwickeln, ist es gut, wenn auch die Eltern sich ein Stück verwandeln. Dabei können Mütter oder Väter Themen, die sie im Zusammenhang mit dem Kind beschäftigen, ins «Bild» bringen, sie beispielsweise malen oder einfach etwas schaffen, was sie unterstützend selbst tun, um ihre Kinder in deren Entwicklung besser zu begleiten. Hilfreich ist es beispielsweise, für alle Entwicklung einen Begriff vom Werden und der Veränderung einzelner Zustände zu haben, in die Geheimnisse der Metamorphose einzudringen. Etwa zu lernen, den augenblicklichen Zustand nicht als einen endgültigen anzusehen! Vielmehr mit der Frage ganz praktisch umzugehen: Wie komme ich von dem einen Zustand zum nächsten? Das ist es ja gerade, was Kinder sowieso in ihrer Entwicklung fortwährend und in der Frühförderung insbesondere machen. In jedem Entwicklungszustand ist grundsätzlich der nächste Schritt bereits enthalten. Je besser wir als Erwachsene solche Werdeprozesse verstehen und in uns lebendiger werden lassen, desto besser können wir die Fortschritte unserer Kinder begleiten.
Claudia Grah-Wittich
Studium der Kunstgeschichte und Philosophie MA
Diplom Sozialarbeiterin,
Tätig in der Frühförderung und Elternberatung
Verantwortlich für die Weiterbildung am ‹hof›: Eltern beraten, Kinder Neu sehen lernen, Neubeginn